Interview Swisspower

«Wir müssen der Geothermie endlich eine echte Chance geben.»

01.06.2022

Die Stadtwerke spielen eine bedeutende Rolle bei der Dekarbonisierung der Städte. Warum der Ausstieg aus dem fossilen Gas den Stadtwerken nicht weh tut und wie die Geothermie ins künftige Energiesystem der Städte passt, erklärt Ronny Kaufmann im Interview. Der CEO von Swisspower äussert auch Kritik am zu langsamen Ausbautempo der erneuerbaren Energien.

Ronny Kaufmann. Photo © BŽatrice Devnes

Ronny Kaufmann, Swisspower gibt es nun seit mehr als 20 Jahren. Wofür steht Swisspower ein?
Unsere Stadtwerke werden bis 2050 effizient und vollständig erneuerbar produzieren und kein CO2 mehr ausstossen. Gleichzeitig sorgen wir dafür, dass die Stadtwerke wettbewerbsfähig bleiben und zielgerichtet Kooperationen eingehen für ein nachhaltiges Gesamtenergiesystem. Dafür setzen wir uns ein und sind überzeugt, dass die Energiewende nicht nur wünschbar, sondern auch technisch machbar und unternehmerisch finanzierbar ist.


«Wenn es die Swisspower nicht gäbe, müsste man sie erfinden!»



Was haben Sie auf diesem Weg bis 2050 schon erreicht?
Wir sind in den letzten Jahren stetig gewachsen und es läuft immer mehr bei uns zusammen: Gemeinsame Produktionsanlagen für erneuerbaren Strom, gemeinsame Beschaffung von grünen Gasen und ein gemeinsames Innovationsmanagement. Ich könnte noch weitere Themen auflisten, mit denen wir die Wettbewerbsposition unserer Stadtwerke stärken. Wenn es die Swisspower nicht gäbe, müsste man sie erfinden!

Worauf sind Sie besonders stolz?
Ich möchte drei Dinge hervorheben. Erstens ist Swisspower heute eine echte Kooperationsplattform von progressiven Stadtwerken, die zusammen eine nachhaltige Energieversorgung aufbauen. Ein gutes Beispiel dafür ist die kürzliche Eröffnung der ersten industriellen Power-to-Gas-Anlage der Schweiz in Dietikon. Zweitens ist Swisspower eine echte politische Kraft geworden, die sich für eine erneuerbare Energiezukunft einsetzt und als progressiv, innovativ und glaubwürdig wahrgenommen wird. Und drittens haben die Stadtwerke schon lange vor Fukushima die Zeichen der Zeit erkannt, Projekte für nachhaltige Städte umgesetzt und bereits vor der Abstimmung zum Energiegesetz den Swisspower-Masterplan für eine nachhaltige Energiezukunft präsentiert. Das liegt in der DNA der Stadtwerke: Sie waren schon vor 100 oder 150 Jahren treibende Kräfte für eine moderne Infrastruktur.

Nun haben Stadtwerke in den letzten Jahrzehnten viel in Gasnetze investiert. Der baldige Ausstieg aus dem Gas und der Umstieg auf erneuerbare Wärmequellen dürfte da nicht nur für Begeisterung sorgen.
Es geht darum, von allen fossilen Energieträgern wegzukommen, also weg vom fossilen Gas, weg vom Benzin, weg vom Diesel und weg vom Heizöl. Das bedeutet aber nicht, dass die Netze künftig nicht mehr genutzt werden können. Ein Teil der heutigen Netze werden wir auch in Zukunft für den Transport und die Speicherung von grünen Gasen brauchen. Und die Stadtwerke haben bereits vor Jahren damit begonnen, den fossilen Anteil schrittweise zu reduzieren und mehr erneuerbares Gas einzuspeisen.

Doch das Potenzial nicht-fossiler Gase ist limitiert und kann nicht das gesamte fossile Gas ersetzen?
Das Potenzial grüner Gase wird unterschätzt! Aus überschüssigem erneuerbarem Strom können wir industriell und im grossen Massstab über Power-to-Gas-Anwendungen zum Beispiel Wasserstoff und Biomethan produzieren. In der Schweiz liegt das Potenzial von Power-to-Gas bei rund 5-10 TWh pro Jahr. Wir können so also gut einen Drittel des russischen Gases ersetzen, wenn jetzt bei dieser Technologie wirklich vorwärts gemacht wird.

Und was ist mit dem restlichen Teil der fossilen Wärmeproduktion?
Da gibt es keine perfekte Lösung, sondern viele gute, kombinierte Ansätze. Wir müssen uns von der Vorstellung lösen, dass grosse Anlagen grosse Teile der Schweiz versorgen oder ein einziger Energieträger unsere Probleme löst. Wir müssen alle erneuerbaren Energieträger berücksichtigen und sie lokal dort einsetzen, wo sie am effizientesten sind. Der «Multi-Energy»-Ansatz, also ein dezentrales Energiesystem, ist der richtige.


«Die Swisspower-Stadtwerke haben bei der Fernwärme einen Marktanteil von über 50 Prozent.»



Was heisst das konkret für die Stadtwerke?
Wir berücksichtigen stets, was lokal machbar ist – technisch und politisch. In weniger dicht besiedelten Gebieten kommen eher dezentrale Energielösungen zum Zug. In den Städten hingegen werden thermische Netze immer wichtiger. Die Swisspower-Stadtwerke machen ihre Hausaufgaben und setzen auf thermische Netze. Unsere Stadtwerke haben heute bei der Fernwärme einen Marktanteil von über 50 Prozent. Und sie bauen diese thermischen Netze für Hunderte von Millionen Franken weiter aus – ganz ohne Bundessubventionen. Wenn also etwas vorankommt bei der Energiewende, dann sind es die thermischen Netze.

Und wo harzt es beim Tempo?
Viel zu langsam voran gehen der Umstieg auf die Elektromobilität, die Gebäudesanierungen und der Zubau von Produktionskapazitäten bei der erneuerbaren Energie. Ich denke da auch an die Geothermie. Wo ausser in Riehen produziert eine Geothermie-Anlage ähnlicher Grössenordnung heute Wärme für ein Fernwärmenetz?

Nirgends.
Eben! Und das kann ja nicht sein. Geothermie-Schweiz selbst spricht von einem Potenzial von 17 TWh pro Jahr. Wo bleiben diese Terawattstunden? Wir müssen der Geothermie endlich eine echte Chance geben.

Wer ist mit wir gemeint? Städte und Stadtwerke?
Diese allein können die Risiken nicht tragen. Diese sind bei der Geothermie heute für einen Investor sehr hoch, weil er erst nach langen Bohrungen wirklich weiss, ob er an diesem Standort genügend Wärme produzieren kann. Andere Technologien wie beispielsweise Holzkraftwerke haben viel tiefere Risiken. Damit verpassen wir aber Gelegenheiten für die Geothermie. Standortgebundene Energieträger müssen dort eingesetzt werden, wo man es kann. Wir müssen das Potenzial der Geothermie jetzt nutzen, nicht irgendwann.

Wieso geschieht das nicht?
Wir müssen der Schweizer Bevölkerung noch besser erklären, wie Geothermie funktioniert und welche Chancen und Risiken diese Technologie hat. Bisher ist es uns noch nicht gelungen darzulegen, dass es nicht mehr in erster Linie um 5’000 Meter tiefe Löcher zur Stromproduktion geht, sondern um viel weniger tiefe Bohrungen zur Wärmeproduktion, bei denen das Risiko von Erdbeben praktisch null ist.


«Geothermie muss in einem Atemzug mit Sonne, Wind und Wasser genannt werden.»



Inwiefern können Stadtwerke hier bei der Positionierung von Geothermie unterstützen?
Die Stadtwerke gehen mit konkreten Geothermie-Projekten voran. Mit solchen Projekten können wir der Schweizer Bevölkerung aufzeigen, dass die Geothermie wesentlich zur Produktion von erneuerbarer Wärme beitragen kann. Ich wünschte mir, dass auch die anderen relevanten Akteure im Energiesektor die Geothermie als wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Energieversorgung anerkennen. Die Geothermie muss in einem Atemzug mit Sonne, Wind und Wasser genannt werden. Es braucht mehr Stimmen, mehr Geschichten, mehr positive Emotionen zur Geothermie.

Abschliessend, aus Sicht Swisspower: wir kommen darum schneller vom fossilen Gas weg, weil…?
Weil die Kunden auch tatsächlich kein fossiles Gas mehr wollen. Sie wollten es vorher wegen des Klimas nicht mehr und seit dem Angriff von Putin auf die Ukraine erst recht nicht mehr. Uns Schweizerinnen und Schweizern wird jetzt bewusst, dass eine sichere und nachhaltige Energieversorgung keine Selbstverständlichkeit ist. Gerade jetzt berät das Bundesparlament über die künftigen Rahmenbedinungen des Energiebereichs. Diese Chance müssen wir nutzen, um auch der Geothermie die nötige Unterstützung zukommen zu lassen.

 

Zur Person
Ronny Kaufmann, 46, ist CEO von Swisspower AG, der strategischen Allianz der Schweizer Stadtwerke. Zudem ist er Verwaltungsrat der Schweizerischen Post. Zuvor war er als Leiter Politik & gesellschaftliche Verantwortung bei der Post tätig und arbeitete als Partner eines Unternehmens für Wirtschafts- und Kommunikationsberatung. Er hat an der Universität St. Gallen (HSG) Internationale Beziehungen studiert und ist als Dozent für Public Affairs Management an Schweizer Hochschulen tätig. In seiner Freizeit ist er passionierter Mountainbiker.

 

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