Lebensdauer Geothermie-Anlagen

Wie alt wird eine geothermische Anlage?

28.02.2019

Ein wichtiger Aspekt für den wirtschaftlichen und nachhaltigen Betrieb von Geothermie-Anlagen ist die Lebensdauer ihrer Komponenten. Die älteste mitteltiefe Anlage in der Schweiz, jene von Riehen (BS), ist seit 1994 in Betrieb. Im internationalen Vergleich ist sie noch jung.Daher lohnt sich der Blick ins Ausland: In Paris feiert eine der rund 50 mitteltiefen Geothermie-Anlagen in diesem Jahr ihr 50-jähriges Jubiläum und ist damit doppelt so alt wie diejenige in Riehen.

Geothermische Bohrungen in den letzten 50 Jahren rund um Paris: Eine massive Häufung in den 1980er Jahren, dann 20 Jahre nichts und eine Renaissance ab 2007.

Geothermische Bohrungen in den letzten 50 Jahren rund um Paris: Eine massive Häufung in den 1980er Jahren, dann 20 Jahre nichts und eine Renaissance ab 2007.

Jahrgang 1969: Die Geothermie-Anlage Melun-l’Almont.

Jahrgang 1969: Die Geothermie-Anlage Melun-l’Almont.

Heute sind in und um Paris etwa 50 Geothermie-Anlagen in Betrieb, die eine Tiefe von 1500-2200 Metern aufweisen. Sie haben zusammen eine installierte Leistung von rund 500 MW und beliefern rund 600’000-700’000 Personen mit Wärme. Die meisten Anlagen sind in den 1980er-Jahren gebaut worden und liefern damit wertvolle Anhaltspunkte hinsichtlich ihrer Lebensdauer. Diese hängt insbesondere auch von der chemischen Zusammensetzung des Wassers ab und kann in einer anderen Region kürzer oder länger sein. Die älteste Anlage im Grossraum Paris steht rund 50 Kilometer südöstlich der Hauptstadt in Melun-l’Almont und feiert in diesem Jahr ihr 50-jähriges Jubiläum.

Interview Christian Boissavy, Präsident GEODEEP SAS

Christian Boissavy ist Präsident von GEODEEP SAS, einem vom französischen Staat und Privaten finanzierten Fonds, der geologische Risiken von Geothermie-Projekten abdeckt. Er ist Gründungspräsident des European Geothermal Energy Council (EGEC) und war Vorstandsmitglied der International Geothermal Association (IGA). In den 1980er Jahren hat Christian Boissavy einige Projekte im Grossraum Paris bei der Planung und Umsetzung als Geologe begleitet. Er war auch beim Geothermie-Projekt in Riehen beratend tätig.

Christian Boissavy, Sie haben den «Geothermie-Boom» in den 1980er-Jahren rund um Paris nicht nur hautnah miterlebt, sondern auch aktiv mitgeprägt. Welches waren die Gründe für den Aktivismus und warum war 1986 dann plötzlich Schluss für 20 Jahre?
Das hing eng mit dem Erdölpreis und der Angst vor Engpässen zusammen. In den Siebziger Jahren gab es politisch bedingt zwei Erdölkrisen, die den Preis in die Höhe trieben. So wurde Erdwärme als Alternative zum Erdöl plötzlich interessant – wirtschaftlich und gesellschaftspolitisch. Als 1985 der Preis für ein Barrel Rohöl unter 10 Dollar sank, war es um die Geothermie-Projekte geschehen. Erdöl war damals einfach zu billig und eine zu starke Konkurrenz.

Was war der Auslöser für die Renaissance von mitteltiefen Geothermie-Projekten ab 2007?
Hier war der Staat die treibende Kraft. Er wollte die erneuerbaren Energien forcieren, und zwar nicht nur bei der Strom-, sondern ganz klar auch bei der Wärmeproduktion. Zu diesem Zweck hat der französische Staat einen Wärmefonds errichtet, der Investitionen in der Höhe von 20 Prozent an Projekte für die Wärmeproduktion – also nicht nur Geothermie – vorsieht.

Geht dieser Trend im Grossraum Paris noch weiter oder ist das Potenzial bald ausgeschöpft?
Der Trend geht ganz klar weiter, und auch die bereitgestellten Gelder im Wärmefonds wurden kürzlich nochmals erhöht, von ursprünglich 250 Millionen Euro jährlich auf 350 Millionen. Diese Investitionshilfe ist gerade für Geothermie-Projekte wertvoll, da die Zeitspanne zwischen den ersten Bohrungen bis zur Produktion und Verteilung der Wärme länger ist als zum Beispiel bei Biomasseanlagen. Ich schätze, dass es bis 2050 rund doppelt so viele Anlagen rund um Paris geben wird als heute, also etwa 100. Alleine in diesem und im nächsten Jahr habe ich Kenntnis von 5-7 neuen Anlagen, die gebaut werden.

Kehren wir zu den «alten» Anlagen zurück. Wie haben sie sich über die Jahre gehalten?
Besser als gedacht. Ursprüngliche Prognosen gingen von einer Lebensdauer von etwa 30 Jahren für geothermische Anlagen aus. Unter anderem dachte man, dass sich die angezapften Wasserreservoire abkühlen und die Bohrlöcher schneller unbrauchbar würden. Das ist nicht passiert und heute sind noch einige Anlagen – aktuell etwa die Hälfte aller mitteltiefen Anlagen in Paris – in Betrieb, ohne dass es dafür eine neue Bohrung brauchte.

Und wie ging das?
Die Anlagen wurden gesamthaft erneuert. Die Komponenten an der Oberfläche – Förder- und Rückgabepumpen, Wärmepumpen, Wärmetauscher – müssen so oder so regelmässig ersetzt werden, die Rohre hingegen nur alle 30 Jahre. Sie bleiben in jedem Fall im Bohrloch drin, aber sie werden gründlich gereinigt und neue Rohre passgenau in die alten Rohre eingefügt. So ist die Anlage fit für weitere Jahrzehnte.

Wenn neue Rohre in alte Rohre eingepasst werden, müssen diese zwangsläufig kleiner sein. Sinken dann nicht Kapazität und Leistung der Anlage?
Das ist im Prinzip richtig, aber unter anderem dank besserer Materialien gleicht sich dieser Effekt aus. Verwendete man früher Metallrohre, so bestehen diese jetzt aus Glasfaserwerkstoffen und Kunstharzen. Diese haben viel bessere Eigenschaften: sie sind glatter und verursachen weniger Reibung mit dem Wasser. Dadurch erhöht sich die Effizienz und auch die Beständigkeit. Jedoch lässt sich nicht jedes Bohrloch mit diesem Verfahren erneuern: entweder war das ursprüngliche Loch zu klein dimensioniert, oder die Korrosion setzte dem Metallrohr zu sehr zu. Dann hilft nur noch ein neues Bohrloch, um die alte Anlage am selben Standort weiter zu betreiben.

Und das ist teurer als die Erneuerung?
In der Tat. Eine neue Bohrung in Paris kostet etwa 5 Millionen Euro, die Erneuerung eines Bohrlochs hingegen nur 1-1,5 Millionen Euro. Es ist also aus wirtschaftlichen und nachhaltigen Gründen sinnvoll, ein Bohrloch zu erneuern, wenn es machbar ist.

Mit welcher Lebenserwartung können Anlagebetreiber heute bei einer neuen oder erneuerten Anlage rechnen?
Teile der Anlage an der Oberfläche müssen nach 5-20 Jahren ersetzt werden. Die heutigen Rohre werden aber mehr als 40 Jahre halten. Wenn man bedenkt, dass ein Bohrloch einmal mit dem erwähnten Verfahren erneuert werden kann, bohrt man heute für eine Dauer von mehr als 80 Jahren!

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