Geothermie in Deutschland

«Ohne Geothermie ist die Energiewende kaum zu schaffen»

13.04.2022

In einem Kommentar bringt es die Süddeutsche Zeitung auf den Punkt: «Ohne Geothermie ist die Energiewende kaum zu schaffen.» Dabei spiele sie in den Energiekonzepten der deutschen Bundesregierung nur eine untergeordnete Rolle und sei die wohl am meisten unterschätzte Energiequelle.

Was in Deutschland gilt, gilt auch für die Schweiz. So betont Nathalie Andenmatten Berthoud bei Auftritten und Interviews immer wieder: «Die Schweiz kann es sich nicht leisten, auf die Energiequelle Geothermie zu verzichten». Sie sei für die Wärmewende unabdingbar. Wie in der Schweiz kommen Experten auch in Deutschland zum Schluss, dass rund ein Viertel des Heizenergiebedarfs durch die Geothermie gedeckt werden kann.

Das Geothermie-Werk im Münchner Stadtteil Riem. Geothermie spielt in München eine sehr grosse Rolle (Foto: Stefan Obermeier).

Der Kommentar der Süddeutschen Zeitung.

Ohne Geothermie ist die Energiewende kaum zu schaffen

Viele Haushalte brauchen Gas zum Heizen. Eine günstige Alternative ist Erdwärme – doch die wurde von der Politik lange kaum beachtet und noch weniger gefördert. Das muss sich ändern.

Mit hohem Tempo bastelt die Bundesregierung am Energiekonzept der Zukunft. Ein Konzept, das Deutschland unabhängig von russischem Öl und Gas machen soll. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will dabei vor allem auf Wind und Sonne setzen, wie das gerade vorgelegte «Osterpaket» zeigt. Eine wichtige nachhaltige Quelle scheint Habeck in seinem Planspiel vergessen zu haben: Tiefenwärme aus dem Erdinneren.

Geothermie ist die wohl am meisten unterschätzte Energiequelle in Deutschland: CO₂-frei, Tag und Nacht verfügbar und im Vergleich zu Windrädern und Solaranlagen schonend für das Landschaftsbild. Prognosen zufolge könnte sie fast ein Viertel des Heizenergiebedarfs in Deutschland decken. Dies setzt allerdings voraus, dass entsprechend gefördert und investiert wird. Doch genau daran hapert es.

Von der Politik wird Geothermie seit Jahren geradezu stiefmütterlich behandelt. Während der Staat den Einbau von Gasheizungen bis vor Kurzem noch grosszügig förderte, hielten sich die Beihilfen für Tiefengeothermie-Anlagen sehr in Grenzen. Ein ähnliches Bild zeigt sich in der Forschung, wo ein großer Teil der Mittel in Wasserstoff-Technologien fliesst.

Zwar kommen inzwischen in vielen neugebauten Einfamilienhäusern Wärmepumpen zum Einsatz, die Oberflächenwasser nutzen. Kaum ausgeschöpft werden dagegen thermische Quellen für Fernwärmenetze in Ballungsräumen und Kommunen. Die meisten werden vor allem mit Gas und Kohle betrieben, was für viele Mieter und andere Abnehmer nun zur Kostenfalle wird.

Dabei kann die im Erdinneren verfügbare Wärme, erst einmal angezapft, stetig Energie liefern – und das über Jahrzehnte hinweg. Schon in ein paar Hundert Metern Tiefe erreichen die Wasserschichten 30 bis 100 Grad Celsius oder mehr. In einem geschlossenen Kreislauf wird das Wasser nach oben gepumpt, die Wärme entzogen und abgekühltes Wasser dann wieder zurückgeführt. Sind die Bohrtürme abgebaut, bleibt an der Oberfläche nur ein nicht allzu grosses, sauberes Kraftwerk zurück.

Vor allem im Norden und Süden Deutschlands sind die Bedingungen im Untergrund ideal, aber auch in vielen anderen Regionen liesse sich die Energiequelle effizient nutzen. Die dafür nötige Technik stammt aus der Öl- und Gasindustrie und gilt als ausgereift.

Das Beispiel Münchens zeigt, welch wichtigen Beitrag Geothermie zur Energieversorgung einer Grossstadt leisten kann. Die Landeshauptstadt nutzt die Tiefenwärme seit Jahren und baut sie stetig aus, sie speist heute schon zum wesentlichen Teil das Fernwärmenetz. Auch in anderen Städten erwacht nun mit der drohenden Gasknappheit das Interesse.

Wackelt der Boden, wackelt auch die Akzeptanz der Bevölkerung
Doch die Berührungsängste sind gross. Auch bei Politikern. Die heftigen Proteste, die vor Jahren aus gutem Grund das Aus für Erdgas-Fracking hierzulande brachten, sind nicht vergessen. Einige Bohrungen lösten kleinere Erdbeben aus, Giftstoffe gerieten ins Grundwasser. Energieversorger wissen: Wackelt der Boden, wackelt auch die Akzeptanz der Bevölkerung.

Bei Geothermiebohrungen kam es in der Vergangenheit ebenfalls zu Zwischenfällen, auch wenn hier der Untergrund nicht mit Fracking und giftigen Chemikalien aufgebrochen wird. Jede Technik hat ihre Risiken. Doch die gelten bei Geothermie inzwischen als beherrschbar, dank modernster Technik, umfangreicher Risikoprüfung und gründlicher Sondierungen des Untergrunds.

Das grösste Risiko liegt für Energieversorger auf finanzieller Seite. Eine einzelne Bohrung kostet leicht mehrere Millionen Euro – und nicht jede ist ein Treffer. Um die Wärmequelle bundesweit im grossen Stil nutzen, wären Hunderte Bohrungen nötig. Ein Problem sind zudem Genehmigungsverfahren, die sich über acht bis zehn Jahre hinziehen, weil Fachpersonal in den Behörden fehlt. Der Mangel lässt sich beseitigen, indem Projekte finanziell gefördert und Verwaltungen neu strukturiert werden.

Es könnte sich lohnen. Der Wärmestrom aus dem Erdinneren könnte eine wichtige Rolle im künftigen Energiemix spielen. Deutschland kann es sich nicht leisten, auch nur auf eine mögliche regenerative Quelle zu verzichten. Gerade ein grüner Wirtschaftsminister sollte das Potenzial der Geothermie nicht einfach ignorieren.

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