Interview Jean-François Pilet

«Es braucht ein breit aufgestelltes, multidisziplinäres und gut vernetztes Team»

06.07.2022

In Lavey, an der Grenze zwischen den Kantonen Waadt und Wallis, wird voraussichtlich ab 2023 der erste Geothermie-Strom in der Schweiz produziert. Die laufenden Bohrarbeiten dürften Ende August abgeschlossen werden. Warum das nicht selbstverständlich ist, welchen Herausforderungen sich Projektträger AGEPP stellen musste und warum er nachts trotzdem gut schläft, erzählt AGEPP-Direktor Jean-François Pilet im Interview.

Jean-François Pilet, wie zufrieden sind Sie mit dem aktuellen Stand der Arbeiten?
Wir liegen bei den Bohrarbeiten hinter dem Zeitplan zurück und haben einige schwierige Phasen hinter uns, aber nun sind wir wieder auf Kurs. Mitte Juni haben wir eine Bohrtiefe von 2’000 Meter erreicht und ungefähr Ende August werden wir die Bohrarbeiten abschliessen können.

Welchen Schwierigkeiten sind Sie begegnet?
Auf den ersten 600 Metern kamen wir im harten Gneiss mit dem grossen Bohrdurchmesser nur sehr langsam voran – etwa einen Meter pro Stunde und damit halb so schnell wie erwartet. So nutzten sich die Bohrköpfe schneller ab. Weiter unten konnten wir hingegen mit einem kleineren Bohrdurchmesser unser Geschwindigkeitsziel erreichen. Ausserdem mussten wir bei einem Zwischenfall die Bohrarbeiten während zehn Tagen einstellen und der untere Bereich des Bohrlochs begann einzustürzen. Bevor wir die Bohrarbeiten wieder aufnehmen konnten, mussten wir das ganze System wieder stabilisieren. Und wir mussten auf einen Teil der in einer Tiefe von etwa 1’800 Metern geplanten Logging-Messungen verzichten.

Mit welchen Konsequenzen?
Wir konnten die Temperatur in dieser Tiefe zwar messen – sie beträgt 95° C – wissen aber Stand heute nicht, wie gut die Produktionsrate ist. Das wissen wir erst nach Abschluss der Bohrung. Diese Produktionstests werden darüber Aufschluss geben, ob wir im erwarteten Umfang Strom und Wärme produzieren können. Im Optimalfall gehen wir von einer Temperatur von 110° C und einem Durchfluss von etwa 40 Litern pro Sekunde aus.

Und wenn der Durchfluss geringer ist als erwartet?
Dann müssten wir über die Produktionsform nachdenken. Bislang gehen wir davon aus, dass wir 4.2 GWh Strom und 15.5 GWh Wärme produzieren können. Bei der Stromerzeugung wird das 110° C heisse Wasser zunächst auf 70° C abgekühlt und danach auf 30° C für die Wärmeproduktion. Sollte die Fliessrate tiefer sein als 25 Liter pro Sekunde, müssten wir auf die Stromerzeugung verzichten, dafür könnten wir viel höhere Ausgangstemperaturen für die Wärme nutzen.

Die Anlage in Lavey ist – anders als bei vielen Projekten – nicht als Dublette konzipiert, sondern kommt mit einer einzigen Bohrung aus, welche das Wasser aus der Tiefe holt. Was geschieht mit dem Wasser nach der Nutzung? Sie können es vermutlich nicht einfach so in die Rhone leiten?
Das ist tatsächlich so. Das 30 Grad warme Wasser fliesst nicht direkt in die Rhone, sondern in den Zulaufstollen für das Wasserkraftwerk von Lavey. Die zurückgegebene Restmenge ist im Vergleich zur Wassermenge im Stollen so gering, dass es einen verschwindend kleinen Einfluss auf die Temperatur dieses Wassers hat.

Wenn Sie nochmals zurückdenken an die vorher erwähnten Schwierigkeiten: War gar das Projekt insgesamt zu einem bestimmten Zeitpunkt gefährdet?
Das nicht, aber es hat zu den erwähnten Verzögerungen im Zeitplan geführt und wir mussten einige Anpassungen am ursprünglichen Projekt vornehmen.

Zum Beispiel?
Wir mussten insbesondere das Design des Bohrlochs anpassen. Ursprünglich peilten wir eine Zieltiefe von mehr als 3’000 Metern an und der produktive Teil des Bohrlochs – also die rund 500 Meter im untersten Bereich – sollte offen sein. Das Gestein lässt dies jedoch nicht zu. Also wechseln wir von einem offenen Bohrloch zu einem Bohrloch mit perforierten Stahlrohren. Und wir werden voraussichtlich eine Tiefe von etwa 2’800 Metern erreichen.

Wie schwierig war es für Sie persönlich, mit diesen Schwierigkeiten umzugehen? Konnten Sie nachts gut schlafen?
(lacht) Den Schlaf habe ich mir deswegen nicht rauben lassen. Klar, als Direktor von AGEPP ist es meine Verantwortung gegenüber unseren Partnern, das Projekt zum Erfolg zu führen. Aber ich bin bei weitem nicht allein. Auf dem Bohrplatz sind ständig um die 30 Personen vor Ort, dazu kommen weitere 50 Personen im Backoffice. Das sind alles sehr fähige Leute, und mit ihnen zusammen haben wir noch jedes Problem lösen können. Ich habe daher auch nie meinen Optimismus verloren.

Wie geht es nach Abschluss der Bohrarbeiten im August weiter?
Die Bohranlage wird abgebaut und innerhalb des Kantons Waadt nach Vinzel gebracht, wo sie ihren nächsten Einsatz im Rahmen des Projekts EnergeÔ La Côte hat. Erfolgreiche Produktionstests vorausgesetzt, können die Arbeiten für die benötigte Infrastruktur an der Oberfläche aufgenommen werden. Verläuft alles nach Plan, können wir die Anlage in der zweiten Jahreshälfte 2023 in Betrieb nehmen und dann erstmals in der Schweiz Geothermie-Strom produzieren.

Endlich, ist man versucht zu sagen… Sie mussten bis hierhin viele Hindernisse aus dem Weg räumen. Was können Sie anderen Projektträgern raten, die heute am Anfang eines Projekts stehen?
Das wichtigste vorneweg: es braucht ein breit aufgestelltes, multidisziplinäres Team und ein Ingenieurbüro, welches gut vernetzt ist, die Abläufe für Bewilligungen und die Behörden gut kennt. Die administrativen Aspekte dürfen keinesfalls unterschätzt werden, da braucht es einen langen Atem. Wobei es heute sicherlich schon etwas einfacher ist als noch vor zehn Jahren. Und bei jeder Phase des Projekts ist es auch zentral, transparent und offen zu kommunizieren und der Bevölkerung die Möglichkeit zu geben, einen Augenschein vor Ort zu nehmen. Diesem Aspekt haben wir besonders Rechnung getragen und ernten heute die Früchte unserer Arbeit: Insgesamt haben uns schon etwa 600 Personen bei Informationsveranstaltungen und Bohrplatzführungen besucht und die Rückmeldungen waren durchs Band positiv. Die Akzeptanz aus der Bevölkerung und der politische Rückhalt der Standortgemeinden Lavey und Saint-Maurice sind gross, und das macht mich stolz.

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