Flagship-Projekt Innosuisse

Zukunftsweisende geothermische Systeme sollen die Energieversorgung der Schweiz robuster machen

06.09.2022

«Advanced Geothermal Systems» (AGS) könnten das Schweizer Energiesystem durch die Bereitstellung von dekarbonisierter und dezentraler Heizwärme und Strom widerstandsfähiger machen. Dies ist auch nötig, wenn das Schweizer Energieversorgungssystem in Zukunft vermehrt auf fluktuierende Sonnen- und Windenergie basiert. Das Potenzial der AGS wird in den nächsten Jahren im Rahmen eines neuen Flagship-Projekts der Innosuisse untersucht.

Prof. Dr. Martin O. Saar

Die Innosuisse, die Schweizerische Agentur für Innovationsförderung, hat im Rahmen einer neuen Flagship-Initiative 15 Projekte ausgewählt. Eines davon – das «AEGIS-CH»-Projekt – beinhaltet eine umfassende Schweizer Energiesystem-Analyse mit einem wesentlichen «Update» zur Geothermie. Neu in die Analyse aufgenommen werden so genannte «Advanced Geothermal Systems», kurz AGS. Diese neue Geothermie-Technologie soll im künftigen Energiesystem eine wichtige Rolle spielen und mithelfen, die Energieimporte zu verhindern oder zumindest zu reduzieren. Im Rahmen des Flagships werden auch die AGS weiterentwickelt und getestet. Das Flagship wird von Prof. Dr. Martin O. Saar geleitet, dem Gründer und Leiter der «Geothermal Energy and Geofluids» (GEG) Gruppe im Department der Erdwissenschaften an der ETH Zürich.

Wie eine riesige Erdwärmesonde
Stark vereinfacht müsse man sich ein AGS wie eine riesige Erdwärmesonde vorstellen, sagt Martin Saar. Die zwei Bohrungen gingen bis zu 10 Kilometer in die Tiefe und es gebe mehrere, 5 bis 10 Kilometer breite Querverbindungen zwischen den Bohrschächten. Das System ist dicht und funktioniert demnach als geschlossener Kreislauf. «Die Idee hinter dem Prinzip eines AGS ist nicht neu. Nur ist eine wirtschaftliche Machbarkeit bisher unrealistisch», betont Martin Saar.

Rechts ist schematisch die Funktionsweise eines «Advanced Geothermal Systems» mit geschlossenem Kreislauf in einer Tiefe bis 10 Kilometern dargestellt. CO2 zirkuliert in den Bohrungen. Im künftigen Schweizer Energiesystem (links) könn-ten hunderte solcher kleinen, dezentralisierten, autarken und CO2-emissionsfreien Anlagen zum Einsatz kommen. Sie würden andere erneuerbare Energiequellen wie Wind- und Sonnenenergie unterstützen, die nur zeitweise zur Verfügung stehen. (Quelle: ETHZ, GEG ©)

Zwei wesentliche Änderungen lassen eine wirtschaftliche Realisierung eines AGS nun in den Bereich des Möglichen rücken. Erstens soll im geschlossenen Kreislauf CO2 zum Einsatz kommen. Damit wird Energiegewinnung um bis zu ca. 50 Prozent effizienter, da das CO2 die Wärme wesentlich besser transportiert als das konventionell eingesetzte Grundwasser. Und zweitens gibt es bei den Bohrverfahren grosse Fortschritte. Bohrungen können wesentlich günstiger realisiert werden – ein entscheidender Faktor für die Gestehungskosten von Strom oder Wärme aus Geothermieanlagen. Das von Martin Saar und seinem Team und weiteren Kollegen aus Akademie und Industrie untersuchte Verfahren, das «Plasma Pulse Geo Drilling» (PPGD), verwendet Hochspannungsimpulse (>200 Kilo-Volt), um mittels der Bildung eines Plasmas, also eines Blitzes, das Gestein ohne mechanischen Abrieb aufzubrechen.

Flexibel, nahezu überall einsetzbar, autark und ohne operative CO2-Emissionen
AGS-Kraftwerke haben gemäss Martin Saar vielfältige Vorteile. So sind Bohrungen ohne Stimulation möglich, und eine fertige Anlage wäre wartungsarm und langlebig. Der Grund: Im Gegensatz zu allen anderen tiefen Geothermiekraftwerken stellt sich nach einigen Jahren der erhöhten Wärmeförderung eine Gleichgewichtssituation ein. Der natürliche, nachfliessende Wärmestrom aus dem Untergrund kann mit der Entnahme der geothermischen Energie durch das AGS mithalten.

Bei der angedachten kleinsten Standardgrösse eines AGS ist eine elektrische Leistung von ca. 1 MW oder eine thermische Leistung von ca. 10 MW zu erwarten. Durch das Erbohren des Untergrundwärmetauschers sind AGS praktisch überall und weitgehend unabhängig von der Geologie realisierbar und können flexibel in bestehende elektrische oder thermische Netze integriert werden – auch in Kleinnetzen von Gemeinden. Aus diesem Grund eignen sich die AGS auch dazu, zusammen mit Solar- oder Windparks eingesetzt zu werden, um Energie zu liefern, wenn die Sonne nicht scheint oder der Wind nicht bläst – und dies ohne operative CO2-Emissionen.

Gerade bei der künftig im Rahmen der Energiestrategie 2050 angepeilten starken Zunahme von fluktuierender Sonnen- und Windenergie können diese geothermischen Anwendungen wesentlich zu einer stabilen und sicheren Energieversorgung beitragen. «Hier zeigt sich der wahre Wert der AGS», meint Martin Saar. Er ist überzeugt: «Die gesellschaftliche Akzeptanz für solche Anlagen wird hoch sein, auch wenn diese ihren Preis haben. Für die eigene Versorgungssicherheit sollte sich ein Land wie die Schweiz das auch leisten können.»

Mehrere Forschungs- und Industriepartner
Das Flagship-Projekt AEGIS-CH ist im Juni 2022 gestartet. Innosuisse finanziert dieses – und die darin enthaltenen 14 Subprojekte – über eine Dauer von vier Jahren. Unter der Leitung der GEG Gruppe von Martin Saar sind weitere ETHZ-Departemente, das Paul-Scherrer-Institut und die Ostschweizer Fachhochschule als Forschungspartner sowie die Schweizer Industriepartner SwissGeoPower AG, Geotherm AG, KIBAG Bauleistungen AG, Basler & Hofmann AG, Amberg Group AG und Sika Services AG beteiligt.

Flagship-Initiative von Innosuisse
2021 führte Innosuisse die Flagship-Initiative ein. Mit diesem neuen Förderinstrument will die Schweizerische Agentur für Innovationsförderung systemische und transdisziplinäre Innovationen ankurbeln, die für die aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen in der Schweiz zentral sind. Anlässlich der ersten Ausschreibung bewilligte Innosuisse 15 Gesuche, darunter dasjenige der GEG (Geothermal Energy and Geofluids) Gruppe an der ETH Zurich, unter der Leitung von Prof. Dr. Martin O. Saar. Es hat den Titel: AEGIS-CH: Advanced geothermal systems to improve the resilience of the energy supply of Switzerland. Insgesamt sind 85 Schweizer Forschungspartner und 221 Umsetzungspartner, wie Unternehmen und gemeinnützige Organisationen (NPO), beteiligt.
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