Hochauflösende 3D-Seismik minimiert Fündigkeitsrisiken und erhöht Sicherheit von Tiefengeothermieprojekten am Oberrhein
28.09.2020Die Ergebnisse einer 3D-Seismik-Kampagne von 2019 am Oberrhein liegen vor. Die Messergebnisse liefern neue, bislang unbekannte Einblicke in den Untergrund des 58 Quadratkilometer großen Gebiets. Diese Daten minimieren das Fündigkeitsrisiko und erhöhen zudem die Sicherheit geplanter Tiefer Geothermieanlagen im Aufsuchungsgebiet. Bei der Kampagne kamen 48.000 Geophone und eine Kolonne mit vier Vibratoren zum Einsatz.
Text: Ulrich Lotz
Die Seismik-Messkampagne sollte eine bestmögliche Auflösung der strukturellen Verhältnisse in Tiefen von 3.000 bis 4.000 m liefern, um die potenziellen Reservoirzonen im Aufsuchungsgebiet genau bestimmen zu können. Bereits in den 1980er Jahren waren von Unternehmen der Kohlenwasserstoff-Industrie 2D Seismiklinien gemessen worden. Diese lieferten erste Hinweise darauf, dass der Untergrund im Gebiet der Gemeinden Waghäusel, Philippsburg und Hambrücken im zentralen Teil des Oberrheingrabens von mehreren großen Störungszonen durchzogen wird. Diese Zonen sind geeignete Ziele, um hydrogeothermale Erdwärmevorkommen zu erschließen. Die über Jahre von verschiedenen Experten erarbeiteten Interpretationen der 2D-Seismiken kamen allerdings zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Insbesondere der räumliche Verlauf der Störungszonen und die darin auftretenden Höhenversätze der als Zielhorizonte gesuchten Gesteinsschichten des Muschelkalks, Buntsandsteins und Rotliegend konnten nicht eindeutig bestimmt werden. Aus diesem Grund entschied sich die Deutsche Erdwärme, nach ihrem Eintritt in die Aufsuchungserlaubnis »Waghäusel-Philippsburg« eine 3D-Seismik-Kampagne durchzuführen. Angesichts der zahlreichen Störungssysteme war im Gebiet ein hoher Deformationsgrad des Untergrundes zu erwarten. Eine qualitativ gute Abbildung der Strukturen in den avisierten Zieltiefen stellte deshalb große technische Herausforderungen an die Vibrationsseismik.
Längere Wellen, größere Eindringtiefe
Die Deutsche Erdwärme prüfte deshalb gemeinsam mit der von ihr für die Ausführung der Seismik-Kampagne beauftragten DMT GmbH & Co. KG vor Beginn der Messarbeiten zahlreiche Parameterkombinationen. So sollte gewährleistet werden, dass die vorhandene Infrastruktur und Gebäude geschützt und gleichzeitig ein bestmöglicher Energieeintrag in den Untergrund erzielt werden konnte, um eine optimale Abbildungsqualität zu erreichen. Man entschied sich für den Einsatz einer Kolonne von vier anstatt der bei Seismiken im Oberrheingraben bisher üblichen drei Vibratoren (Abb. 1). Die in den Untergrund eingebrachten Schwingungen wurden, im Gegensatz zu dem bei Kohlenwasserstoffexplorationen im Oberrheingraben verwendeten Frequenzband zwischen 12 und 96 Hz in das etwas tieferfrequente Band von 10 bis 64 Hz abgesenkt. Die geothermischen Zielhorizonte liegen nämlich meist mehrere hundert Meter tiefer als diejenigen der Erdölexploration. Die größeren Wellenlängen erreichen aufgrund ihres höheren Energieinhalts eine größere Eindringtiefe. Das erhöht die Chance, trotz Abschwächung der Wellen in den Störungs- und Deformationsbereichen, eine ausreichend hohe Signalstärke an der Oberfläche aufzuzeichnen.
Innovatives, kabelloses Messsystem
Das verwendete kabellose AUTOSEIS-Empfänger-System (Autoseis Inc.) hielt die Beeinträchtigung für Umwelt und Bevölkerung gering, da es ohne die üblicherweise kilometerweit ausgelegten Kabel auskommt. Es besteht aus autonomen Units, die jeweils mit einem Datenlogger, einem GPS-Sender sowie einer Batterie ausgestattet sind (Abb. 2). An jede Unit wurden je zwölf Geophone angeschlossen. Insgesamt 48.000 Geophone horchten an den 4.000 ausgelegten Units in den Untergrund der 58 Quadratkilometer großen Messfläche. Die Units verblieben über die gesamten fünfeinhalb Wochen Ausführungszeit der Messkampagne im Gelände. Ihre Daten wurden nach Abschluss der Vibroarbeiten noch im Feldbüro ausgelesen und gesichert.
Gutes Zusammenspiel mit der Bevölkerung
In der Vergangenheit hatten Seismik-Messkampagnen sowohl zur Exploration von hydrothermalen Tiefenwasservorkommen als auch von Kohlenwasserstoffen im Oberrheingraben mit Widerständen aus Gemeinden und aus der Bevölkerung zu kämpfen. Messungen wurden ganz oder teilweise behindert, weil Anwohner später seismische Ereignisse, ausgelöst durch den Betrieb einer Geothermieanlage, oder Umweltprobleme durch die Kohlenwasserstoffförderung befürchteten. Auch im Beteiligungsverfahren für den eingereichten Betriebsplan der Deutschen Erdwärme gab es Vorbehalte gegen die Messungen. Als Genehmigungen für das Auslegen der Geophone auf Privatgrundstücken eingeholt wurden, zeigte sich ein großer Teil der Bevölkerung (über 80 %) jedoch als offen gegenüber der Technologie und mit den Messarbeiten einverstanden. Es wurde positiv wahrgenommen, dass während der Vibroarbeiten Vertreter der Deutschen ErdWärme interessierten Bürgern als direkte Ansprechpartner vor Ort für Fragen zur Verfügung standen. Kleinere Schäden, die trotz der getroffenen Vorsichtsmaßnahmen an Infrastruktur oder Gebäuden auftraten, wurden schnell und einvernehmlich mit den Betroffenen reguliert. Die Messkampagne dauerte dank der guten Zusammenarbeit mit der Öffentlichkeit und den Behörden vom Genehmigungsprozess bis zur Datenakquisition lediglich ein halbes Jahr. Die Messarbeiten im Gelände wurden dank guter Vorbereitung und Trupporganisation sowie idealer Wetterbedingungen innerhalb von nur fünfeinhalb Wochen ausgeführt.
Neue Erkenntnisse zum strukturellen Bau der Region
Durch die angewandten Messparameter konnte die Auflösung der Seismikabbildung in den tiefliegenden geothermischen Zielhorizonten des Mesozoikums gegenüber früheren Messkampagnen merklich verbessert werden. Trotz zahlreicher Störungszonen, welche die ausgesandten Vibrationswellen beeinflussen (z. B. durch multiple Reflexionen, Störungsschatten und Signalminderung), ist die Auflösung der Daten gut. Sie erlauben nun eine genaue Lokalisierung der mesozoischen Schichten, in denen die Deutsche Erdwärme die Thermalwasserreservoire erwartet, sowie eine optimale Erkennung der Bruch- und Reservoirzonen bis in Tiefen von ca. 4.000 m. Sogar mächtige, zwischen dem Buntsandstein und dem Grundgebirge liegende Schichtpakete des Rotliegend sind bestimmbar. Deren Vorkommen und insbesondere deren Mächtigkeiten waren in diesem Gebiet bislang nicht durch Daten belegt.
Räumlicher Verlauf der Bruchzonen nachvollziehbar
Das nun verfügbare 3D-geologische Modell (Abb. 3) ermöglicht erstmals eine vollständige Analyse des räumlichen Verlaufs der Bruchzonen, des strukturgeologischen Aufbaus und somit der geologischen und geomechanischen Geschichte des Gebiets. Im Untergrund verlaufen mehrere bislang in dieser Ausdehnung nicht bekannte große tektonische Deformationsbereiche. Sie haben sich aus mehreren, über lange geologische Zeiten aktive Störungszonen gebildet. Die Breite der einzelnen Deformationszonen erreicht zum Teil mehrere Kilometer – eine Dimension, die unseres Wissens im Oberrheingraben bisher unbekannt war (Abb. 4). Zudem durchziehen diese Deformationsbereiche das Untersuchungsgebiet in unterschiedliche Richtungen. Sie spiegeln die Deformationsgeschichte des Oberrheingrabens und die sich im Laufe der Zeit verändernde Orientierung der Spannungsrichtung wider. In den Kreuzungsbereichen der Deformationen ist mit einer hohen Beanspruchung der mesozoischen Sedimentgesteine und somit auch mit hohen Gesteins- und Reservoirpermeabilitäten zu rechnen – ideale Voraussetzungen, um ergiebige hydrothermale Reservoire zu erschließen! Mit diesem regionalen Verständnis ist es möglich, die vorhandenen Bruchzonen und Reservoire exakt in ihrem geomechanischen Kontext zu analysieren, um die Bohrungen an die Positionen im Untergrund mit der größtmöglichen, erwartbaren Permeabilität zu führen. Die gewonnenen Daten minimieren entsprechend die Fündigkeitsrisiken und erhöhen darüber hinaus die Sicherheit, da in hochpermeablen Zonen bei der Reinjektion des Wassers aus heutiger Sicht keine nennenswerten Drücke notwendig sind.
Dieser Artikel ist in «Geothermische Energie» erschienen, der Fachzeitschrift für geothermische Forschung und Anwendung in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Geothermie-Schweiz kooperiert bei dieser Fachzeitschrift mit den weiteren nationalen Geothermie-Verbänden im deutschsprachigen Raum und publiziert ausgewählte Artikel auf der Webseite.
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